Wieso flippen so viele kurz vor Silvester aus und fassen Vorsätze? Erste Theorie: Das Fressgelage und die – hoffentlich! – schön entspannten Tage rund um Weihnachten haben uns ein schlechtes Gewissen gemacht. Unser Drang nach Aktionismus meldet sich mit einem lauten Wumms zurück. Übertrieben laut, womöglich. Theorie Nummer Zwo: Das langweilige Spannungsfeld zwischen Weihnachten und Silvester fällt uns auf den Kopf. Wir beginnen, zu spinnen. Dritter Erklärungsversuch: Der Rückblick aufs vergangene Jahr missfällt uns, wir sehen Verbesserungsbedarf. Und abgesehen davon sind wir ein bisschen verknallt in die Vorstellung, (noch) besser sein zu können.#selbstoptimierung
„Ach, eigentlich will ich ja mehr Sport machen …“
Willst du nächstes Jahr mehr Sport treiben? Dann lass uns den Sinn und Unsinn von guten Vorsätzen an diesem Beispiel näher angucken. Du kannst folgende Punkte auch auf „Finnisch lernen“, „freundlicher sein„ oder auch „neue Freunde finden“ anwenden.
1. Bereits der Gedanke daran tut gut!
Und: Die 3-Tage-Regel
Du siehst traurig auf die Plätzchen-Rolle um deinen Bauch, die garantiert erst seit fünf Tagen da ist, und beschließt: „Wenn ich nur genügend Sport mache, ist das in fünf Tagen wieder weg!“ Das ist eine schöne Vorstellung, die einen motiviert – und die Laune hebt. Ich möchte glatt behaupten: Gute Vorsätze fühlen sich so toll an, weil man weiß, dass man sie ohnehin nicht hält.
Vorsätze heißen übrigens so, weil wir sie vorsätzlich ganz schnell wieder vergessen.
Miriam Lochner, spiritualboheme.com
Wer ein ganz schlauer Fuchs ist, beginnt innerhalb der ersten 72 Stunden nach dem ersten Gedankenblitz, den ersten realen Schritt umzusetzen. Wartet man länger, sinkt die Motivation überproportional. Das Gute: Der erste Schritt muss kein besonders großer sein. Fang mit einem Hampelmann pro Tag an. „Das klingt ja nach nichts?“, meckerst du jetzt? Ja gut – dann mach ruhig zwei!
2. Das Vorbereiten macht so viel Spaß
Vielleicht kennst du das auch: Natürlich kann ich in den ollen Sportsachen aus der 10. Klasse unmöglich ins Fitness gehen. Also gehe ich erst mal shoppen: Da müssen erst einmal neue schicke Sneakers her und dazu fancy Leggings und Shirts, die schon beim Anschauen gute Laune machen und einfach sooo krass sportlich aussehen. (Alternative: Coole weite Hosen und lässige XXL-Shirts, die das Elend darunter geschickt verstecken.) Der Sport-BH ist tatsächlich so bequem, dass ich ihn ab sofort ständig tragen würde. Oh wow, eigentlich fühle ich mich jetzt schon so unfassbar sportlich, dass ich gar nicht mehr Sport machen muss!
Ich besitze nun außerdem: ein Täschchen zum Umschnallen für das iPhone, rutschsichere Kopfhörer, atmungsaktive Socken, das ultimative aluminiumfreie Deo, eine BPA-freie Wasserflasche und Elektrolyte, die mir ein Apotheker aufgeschwatzt hat. Voller Stolz gucke ich auf die prall gefüllte Sporttasche. Die ist natürlich auch neu. Vor lauter Glück über all diese schönen Sachen falle ich auf die Couch und belohne mich erst mal mit ein paar Serien. Da sind noch Zimtsterne? Die müssen aber schnell weg! Nach der vierten Folge Good Omens schlürfe ich zum Kühlschrank und stolpere über eine komische Tasche, die ich vorher noch nie gesehen habe.
3. Gute Vorsätze verbinden.
Wetten, dass du an Silvester andere Leute findest, die auch wieder regelmäßig Sport machen wollen? Vielleicht fühlst du dich sogar aus Gesprächen ausgeschlossen, wenn du keine Vorsätze hast. Um 5:03 Uhr trinkst du mit den anderen auf Sportsbrüderschaft – alles egal; du siehst sie ja ohnehin nie wieder oder erkennst sie nüchtern sowieso nicht mehr. Nicht?
Irgendwann begegnest du diesen Menschen wieder: In der Stadt, mit verräterisch blitzeblanken, nigelnagelneuen Nikes an den Füßen. Verschämt blickst du auf deine schicken Sneakers, und im Unterbewusstsein ploppt etwas auf: Da war doch was! Und ähm, den/die andere*n kenne ich doch irgendwoher! Aber woher nur? Das musst du gleich bei einem Kaffee und einem Stück Kuchen klären.
Mach deinen Vorsatz verbindlicher, indem du deine Leute darüber informierst, was du vorhast. Oder, noch besser: Such dir jemanden, der mitmacht!
Besser: Sag einem lieben Menschen, egal ob Freund, Bruder oder Kollegin, dass du vorhast, heute Abend zum ersten Mal in einen Sportkurs zu gehen. Wenn es gute Freunde sind, werden sie dich am nächsten Tag piesacken, ob du auch wirklich da warst. Willst du dir das geben? Wenn du Glück hast, packen deine Bekannten ihre Sportsachen und kommen gleich mit. Danach flucht ihr beide mit hochroten Backen begeistert, wie scheiße Sport ist – und geht nächsten Dingstag wieder. Wenn nicht sogar gleich übermorgen …
4. Wann, wenn nicht zum Jahreswechsel?
Wer sich immer wunderbare Listen mit guten Vorsätzen zum Jahreswechsel schreibt, den frage ich: Warum nicht gleich? Ist das mit dem 2.1. – denn, geben wir es mal zu, am 1.1. sind wir alle nicht ganz soooo fit – nicht eine mittelschwere Ausrede? Was hält dich davon ab, sofort loszulegen?
5. Bin ich zu blöd, mich zu ändern?
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Sich gravierend ändern ist möglich. Sogar weit über das Sport-Thema hinaus. Das Verhalten ändern braucht nochmal andere Motivation, weil es da mit schicken Sportschuhen allein nicht getan ist. Als ich lernen wollte, mehr aus mir herauszugehen, habe ich mir einen Schauspiel-Kurs herausgesucht. Beim ersten Workshop habe ich mich unfassbar geniert, beim zweiten Blut geleckt und beim dritten Mal war klar, dass ich ein neues Lieblingshobby gefunden hatte und nun gar nicht mehr nachvollziehen konnte, warum ich anfangs solche Probleme damit hatte. Nun gut: Ich hatte auch eine Betätigung entdeckt, für die ich brannte.
Wenn Dein Durchhaltevermögen auffallend niedrig ist, liegt es womöglich an einem der folgenden Dinge:
(Obacht, da könnten jetzt sicher Sachen dabei, die du nicht hören willst und ziemliches Triggerpotenzial haben …)
- Es ist Dir nicht wichtig genug. Du willst es nicht wirklich.
Womöglich bist du stärker extrinsischen motiviert, „weil man das muss“. Steht der Wunsch wirklich mit deinem Innerem im Einklang? - Du lässt dich zu wenig auf die Sache ein.
Wer whatsappend auf dem Crosstrainer hängt, braucht sich nicht wundern, wenn der Trainingserfolg ausbleibt. Wer dann den dummen Sport dafür beschuldigt, ohnehin nichts zu bringen, der möge sich mit dem Handy so lange an die Stirn patschen, bis er die Spiderapp hat. - Du willst nur Spaß, Spaß, Spaß.
Natürlich sollst du Freude an deinem neuen Projekt haben. Aber wenn sie mal verschwindet (und diese grässlichen Plateauphasen gibt es leider immer!), solltest du dennoch nicht sofort das Handtuch schmeißen, es sei denn, auf das nächste Gerät im Fitnessstudio, um dort gleich mit der nächsten Übung weiterzumachen.
Überleg doch mal: Hat es dir früher als Kind immer Spaß gemacht, Klavier zu üben, die Zähne zu putzen oder Englisch zu lernen? Bestimmt nicht. Trotzdem bist du heute vermutlich froh, dass du drangeblieben bist. (Ich habe übrigens mit Klavier nach vier Jahren aufgehört und bereue es zutiefst.) - Du verpflichtest dich ja zu nichts.
Ein fieses, ungemein effektives Druckmittel: Andere Leute in die eigenen Pläne einweihen. Ist doch peinlich, wenn du Freunden oder Kollegen am nächsten Tag sagen müssen: „Ich war zu faul fürs Fitness.“ (Siehe Punkt 3) - Du bist grandios im Ausreden-Erfinden.
„Mit vollem Magen soll man keinen Sport machen!“ Das zählt doch sicher auch fünf Stunden nach der letzten Mahlzeit. Oder???
Ich kann das auch super. 45 Minuten lang finde ich die besten Argumente, warum ich jetzt unmöglich Sport machen kann. Unnötig zu sagen, dass ich in der Zeit längst hätte schwimmen oder hula hoppen hätte können. - Deine Erwartungshaltung ist zu hoch.
„Im Sommer will ich die perfekte Bikinifigur haben“ macht zuviel Druck und ist einfach unrealistisch. „Ich mache jeden Tag eine Liegestütze” klingt da schon deutlich machbarer. Formuliere deine Ziele einfach und schaffbar – das programmiert dein Unterbewusstsein positiv. Es ist nicht wichtig, was du schaffst, sondern dass du überhaupt mal deinen – pardon – Arsch hochbekommst. Wenn du regelmäßig dran bleibst, bekommst du immer mehr Lust drauf bzw. wird das Neue ganz normal … wetten? - Du formulierst Wischiwaschiwünsche.
Die gerade eben genannte Wunsch-Formulierung ist außerdem viel zu wenig konkret: Was ist schon perfekt? Wann ist schon Sommer? Im Mai kannst Du Dich noch mit „Och, bis Ende Juli wird das noch“ rausreden. Spätestens Ende Juni bekommst Du dezent Panik und googelst nach Ganzkörpereinteilern. Raffinierter ist es, das portionierte Wünschchen mit einem fixen Datum zu kombinieren: „Bis 28. Februar schaffe ich acht Liegestützen am Stück!“ - Du gehst zu verbissen ran.
Klar, dass dann die Puste schnell ausgeht. Ganz ohne Spaß oder ohne zu wissen warum du es machst wirst du niemals dranbleiben wollen.
Wieso sollest du dich überhaupt ändern?
Jede*r ist gut so, wie er oder sie ist. Niemand muss sich ändern. Schon gar nicht, weil jetzt zufällig Silvester ist. Aber mit einem „So bin ich halt!“ ist es nicht nur bequem, sondern irgendwann auch ziemlich fad. Und wer sagt schon, wie wir sein müssen? (Wenn du mehr dazu lesen willst, lies mal bei „Fake it till you make it“ rein.)
Jetzt aber mal in echt!
Ich habe Sport immer gehasst. Wirklich GEHASST. Ich erhielt keine einzige Siegerurkunde und war bei den Bundesjugendspielen irgendwann ganz zufällig sowieso immer krank (kann man mir nachträglich dafür das Abi aberkennen? Ich war wirklich krank, echt! Der Gedanke an die Veranstaltung ließ mich den ganzen Tag kotzen.) Beim Joggen war ich grundsätzlich immer eine der Letzten und nur, wer bescheuert war, hat mich beim Völkerball ins Team gewählt. Da habe ich mich freiwillig abschießen lassen. Lieber blaue Flecken als rennen.
Mitte 20 war ich altersweise genug, mir einzugestehen, dass ein bisschen Sport so verkehrt nicht ist. Zudem hatte ich einen Motivator, der da hieß: Rücken. Schmerz ist ein klasse Motivator, aber es ist etwas blöd, auf ihn zu warten. Sportlich bin ich heute immer noch nicht, aber immerhin sportlicher als jemals zuvor. Diesen Artikel habe ich ursprünglich im Dezember 2015 verfasst. 2017 habe ich tatsächlich mit dem Laufen angefangen. Laufen. Ich! Bis dahin bin ich nur auf dem Crosstrainer dahingehoppelt. Irgendwann wollte ich mehr und habe verstanden, warum Frischluft eine geile Sache ist. 2021 aktualisiere ich auf: Meine Laufschuhe haben so viel Staub angesetzt, dass sie Pastell anstatt Neon sind, dafür aber fahre ich nun gerne Fahrrad oder hula hoope gerne.
Loslegen. Jetzt!
Wenn Du etwas wirklich, wirklich ändern willst, dann ist es nur wichtig, dass Du beginnst. Jetzt. Sofort. Ohne alles durchzudenken. Ja, du schlauer Mensch, schalte deinen wunderbaren Denkapparat jetzt bitte mal auf stumm:
Wahre Einsicht kommt erst im, durchs oder nach dem Machen.
Miriam Lochner, spiritualboheme.com
Wenn du noch etwas Support fürs Machen brauchst: Da reicht es anfangs sogar, wenn du nur nachmachst. Klingt komisch, ist aber so! Mehr dazu liest du in diesem Artikel.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf auxkvisit.de am 30.12.2015
Illustrationen: © Miriam Lochner