Wer zuckt bei dem Begriff „Langeweile“ nicht ein bisschen zusammen? Klingt so … langweilig! Wir erinnern uns vielleicht an diesen verregneten Sonntag: Nichts zu tun. Uns war so unglaublich fad, aber niemand hatte an diesem Nachmittag für uns Zeit. Das Bücherregal sah langweilig aus. Im Fernsehen kam nur Schrott. Wir hätten uns im Internet prokrastinieren können, aber das ging nicht, denn es gab kein Internet: Wir waren acht Jahre alt.
Seitdem haben wir uns nur noch selten gelangweilt, weil wir ja immer irgendetwas zu tun haben.
Wann hast du dich das letzte Mal so richtig gelangweilt?
Wir können es jetzt auf das böse Internet schieben, dass wir uns heute nicht mehr langweilen können, weil wir dadurch immer etwas zu tun haben – oder das zumindest meinen. Sicher können wir uns da sofort jeden interessanten Film anschauen, Zeitung lesen, spielen, Musik hören, shoppen, mit der Freundin aus Italien skypen, twittern, uns über die blöden Kommentare bei Facebook aufregen, flirten, eine neue Sprache lernen oder Katzenvideos anschauen. Vielleicht sogar alles auf einmal. Aber das Internet mit all seinen Verfügbarkeiten ist nicht schuld daran, dass es keine Langeweile mehr gibt: Wir wollen sie ja gar nicht. Warum auch? Manche Leute sollen ja wirklich Angst davor haben, sich mit sich selbst zu beschäftigen; die suchen dann permanent Ablenkung. Ich muss zugeben: Ich finde Langeweile manchmal echt nett. Und ohne gäbe es diesen Blog* vielleicht gar nicht! (Und nein, ich schreibe nicht, weil mir langweilig ist, sondern weil ich es immer wieder gerne mache und mich in der Zeit alles andere langweilen würde.)
Langeweile bringt nichts! Oder doch?
Wir stehen mit nur einer Milch an der Kasse, vor uns acht Leute, und dann fängt irgendein freundlicher Mensch an, in Kupfergeld zu bezahlen. Wir müssen zum Arzt, brauchen eigentlich nur eine Krankschreibung wegen einer fiesen Erkältung, also höchstens 7 Minuten Zeit im Behandlungszimmer, und sitzen dafür 92 Minuten im Wartezimmer. Die Magazine dort sehen etwas eklig aus, aber wir lassen das Handy lieber aus, weil im Nebenzimmer Röntgengeräte und andere hochempfindliche Teile stehen. Wir warten auf unsere Verabredung, die den Termin übersehen hat und stehen 20 Minuten vermeintlich sinnlos herum.
Wenn wir dann kapieren, dass sich aufregen nichts bringt, können wir innerlich still werden. Wären da nicht unsere Gedanken-Äffchen: Die haben ein unfassbares Tempo drauf. Das eine, das dir noch die Frage stellt, was du heute Abend kochen sollst, bekommt vom nächsten einen Schubs: Es will dich erinnern, dass du noch die Zahnarztrechnung überweisen musst. Bis gestern. Affe Nummer 3 tanzt unablässig deine Arbeit: Es macht ein P für Projekt, K für Kunde, T für Termin. Blöde Affen! Bis der Tiger kommt. Und der hat nicht nur scharfe Zähne und wunderschöne und gleichzeitig grauenvolle Augen, sondern eine ganz majestätische Ausstrahlung. Weil er ganz ruhig ist.
Schleicht sich der Tiger auf seinen gewaltigen Pfoten leise in unserem Fokus, staunen wir plötzlich, wie angenehm Langeweile sein kann. In diesem ruhigen Raum, wenn die dummen Affen endlich ihre Klappe halten, kann so vieles entstehen: Ein ruhiger Atem vielleicht. Eine angenehme Entspannung. Und dann, plötzlich, schießen Ideen hoch – ganz neue. Oder Lösungen für Probleme, die wir schon länger mit uns herumschleppen und in der Hetze des Alltags vergessen oder verdrängen, weil einfach keine Zeit dafür übrig bleibt.
Zu diesem Zeitpunkt hat sich Langeweile in Muße verwandelt. Wir sind offen für den Musenkuss und fordern eine wilde Knutscherei mit ihr.
Wenn einem langweilig sind, kommen einem die besten Ideen!
In der Tat kam mir meine Idee für den Blog Auxkvisit, als ich der Badewanne lag. Die Musik war zu Ende, die Finger schon schrumpelig, aber das Wasser noch so kuschlig warm. Vielleicht waren es die Dämpfe vom Badezusatz, aber auf einmal war da der Geistesblitz: „Zieh den Blog rund um Augsburg auf.“ Bis dahin war ich der festen Überzeugung, dass Themenvielfalt der Tod für einen Blog wären. Irgendeine inhaltliche Klammer braucht es doch. Tadaa, da stieß sie aus den 42 cm Untiefe der Badewanne auf!
Der Wunsch zu Bloggen bestand zu diesem Zeitpunkt schon länger, aber nur als hauchzartes Ideechen. Ich brauchte einfach die Gedankenleere, die Zeit, vielleicht auch das kuschlig warme Wasser. So überraschend ist das ja nicht: Dass die besten Ideen beim Duschen kommen, hört man häufig. Oder beim Spazieren gehen. Tram fahren. Und eben nicht am Schreibtisch, wenn man sein leeres Dokument oder die dicken Briefing-Unterlagen anstarrt.
Diese Langeweile, die man alleine mit sich findet, wird übrigens als anonyme Langeweile bezeichnet. Ich fände „persönliche Langeweile“ schöner. Gerade in solchen Minuten kommt man sich selbst doch überraschend nah.
Von Langeweile und Langeweile
Neben dieser schönen Langeweile, die sich bestenfalls in Entspannung oder Muße wandelt, gibt es die fiese Zwillingsschwester: Sie heißt „Gelangweilt von ______“. Wenn sie auftaucht, wenn wir uns zum Beispiel gerade im Gespräch mit jemand befinden, sollten wir allen Beteiligten einen Gefallen tun und das Gespräch in eine andere Richtung lenken – oder gleich beenden. Ist das respektlos? Vielleicht. Aber immer noch respektvoller, als mit abgeschaltetem Gehirn „zuzuhören“.
Langeweile kann sich also von innen und außen anschleichen. Wenn beides gleichzeitig passiert, uns die Zwillingsschwester wie ein Sandwich einkesseln, können wir uns ekelhaft bedrängt fühlen und nach Luft japsen – oder sie einfach zulassen. Dann wird aus dem fiesen Schraubgriff vielleicht noch eine Umarmung oder gar der ultimative Kreativitäts-Dreier. (Es verhält sich hier ähnlich wie mit unseren inneren Monstern.)
Keine Zeit für Langeweile!
Nächste Woche werde ich wenig Zeit zum Bloggen haben, da ich wegen unterschiedlicher Veranstaltungen immer wieder mal in München sein werde. Unterwegs bloggen geht nüscht, weil mein Laptop dafür zu kaputt ist . Ich werde mich bei den Zugfahrten vermutlich ein bisschen langweilen – und aus dem Fenster gucken. Sollte ich Fräulein Langeweile sehen, winke ich ihr zu. Darf ich sie von dir grüßen?
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*Zuerst erschienen auf auxkvisit.de am 21.2.2016.
Foto: nine koepfer, Unsplash